Das Thema Dehnen wurde schon immer kontrovers diskutiert. Ich möchte hier mal einen kleinen Einblick in die aktuelle Studienlage geben.
Für viele gehört das Dehnprogramm nach der Laufeinheit einfach dazu. Schützt es uns doch vor Verletzungen und erhöht die Flexibilität unserer Muskeln! Doch ist dem wirklich so? Immer mehr Studien zeigen, dass es bessere Möglichkeiten gibt, um die Flexibilität und Beweglichkeit unserer Muskeln und Sehnen zu erhöhen, um uns so effizienter und ohne Verletzungen laufen zu lassen.
Die verschiedenen Bewegungsmuster
Vorab möchte ich aber noch alle auf einen Stand bringen und kurz die Unterschiede der verschiedenen Muskelkontraktionen erläutern.
Prinzipiell unterscheiden wir zwischen drei verschiedenen Arten der Arbeitsweise unserer Muskulatur:
- Bei isometrischen Übungen werden Widerstände in einer Position gehalten. Hierbei handelt es sich um die klassische Haltearbeit, d.h. es findet keine Bewegung statt und der Muskel bleibt in gleicher Länge.
- Bei konzentrischen Übungen geht es darum, Widerstände zu überwinden. Hierbei verkürzt sich der Muskel und die Bewegungsgeschwindigkeit erhöht sich.
- Bei exzentrischen Bewegungen geht es darum, Widerständen entgegenzuwirken. Der Muskel gibt also nach und verlängert sich. Die Bewegungsgeschwindigkeit wird abgebremst.
Als gutes Beispiel zur Verdeutlichung eignet sich hier das klassische Bankdrücken. Wird die Hantel in einer Position gehalten handelt es sich um eine isometrische Belastung. Das Wegdrücken der Hantel ist der konzentrische Teil der Bewegung und wenn die Hantel wieder abgelassen wird, führen wir eine exzentrische Bewegung aus.
„Somit lässt sich als erstes Fazit sagen, dass ein exzentrisches Training eine Kombination von Dehnung und Stärkung darstellt.“
Das klassische statische Dehnen
Seit den 60er Jahren wird flächendeckend gelehrt, dass Dehnen einem Muskelkater vorbeugt und uns beweglicher und Flexibler macht. Mehrere Studien in den letzten Jahren konnten dies allerdings nicht nachweisen. Vor dem Sport ausgeführtes statisches Dehnen führt sogar zu einer verminderten Leistung, da sich hierdurch die Vorspannung der Muskeln verändert und die neurologischen Funktionen beeinträchtigt werden. Eine im Journal of Strength and Conditioning Research veröffentlichte Studie konnte dies belegen. Studienteilnehmer, die vor dem Krafttraining statische Dehnübungen durchführten, schafften beim anschließenden Krafttraining rund 8,3 Prozent weniger Gewicht und hatten dabei 22,68 Prozent weniger Stabilität im Unterkörper.
Nun werden einige Verfechter des Dehnens sagen, dass man sich doch danach immer besser fühlt. Das ist soweit auch nicht falsch und auch erklärbar. Das gute Gefühl, dass wir nach einem kleinen Dehnprogramm verspüren, ist in einer vorübergehenden Verringerung der passiven Spannung unserer Muskeln begründet. Dieser Effekt hält jedoch nur etwa eine Stunde an. Kieran O’Sullivan, Verfasser eines im British Journal of Sports Medicine) veröffentlichtem Bericht über die Auswirkungen von exzentrischem Training auf die Beweglichkeit, drückt es ganz passend aus:
„Statisches Dehnen verlängert nicht die Muskeln, sondern bewirkt, dass wir besser damit zurechtkommen, wenn sie gestreckt werden“
Doch was ist nun der Vorteil der exzentrischen Bewegungen?
Die exzentrische Muskelfunktion ist insbesondere Relevant für die Fähigkeit, große Kräfte zu tolerieren und unsere Beinfedern beim Springen und Sprinten zu regulieren. Während einer solchen Bewegung sind unsere Muskeln großen mechanischen Kräften ausgesetzt. Das führt dann dazu, dass eine Reihe chemischer Prozesse in Gang gesetzt werden, wodurch dann das Wachstum der Länge unserer Muskelfaserbündel angeregt wird. Statisches Dehnen setzt diese Reize nicht und führt daher auch nicht zu solchen Anpassungsprozessen.
„Würde man denselben Effekt mit klassischem Dehnen erreichen wollen, müsste man täglich mehrere Stunden Dehnen. Spätestens an dem Punkt steigen dann wohl auch die meisten aus.“
Jamie Douglas, Kraft- und Konditionstrainer, der derzeit an seiner Doktorarbeit zum exzentrischen Training im Spitzensport arbeitet, hat die positiven Effekte in mehreren Studien nachweisen können. Diese ergaben, dass die exzentrische Muskelfunktion bei hoch trainierten Athleten zur Reaktionskraft und zum Sprinten mit maximaler Geschwindigkeit beiträgt. Ein vierwöchiges Training, mit einem langsamen exzentrischen Tempo bei geübten Athleten, führte zu signifikanten Verbesserungen der Kraft des Unterkörpers, der Sprintgeschwindigkeit mit maximaler Geschwindigkeit und der Regulierung der Steifheit.
Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Laufökonomie und Verletzungsprophylaxe interessant. Durch die Verlängerung des Muskels wird die passive Steifigkeit der Muskeln reduziert, d.h. sie werden beweglicher. Um dies zu kompensieren erhöht sich jedoch die Steifigkeit der Sehnen.
Eine größere Sehnensteifigkeit hat den Effekt, dass wir nun aktiv unsere Laufökonomie durch eine erhöhte Rückgewinnung elastischer Energie steigern können. Der Aufwand der Muskeln wird dadurch reduziert und wir können länger schneller laufen.
„Eine hohe Sehnensteifigkeit ist wie das Springen auf einem straffen Trampolin“
In dem Bericht im „British Journal of Sports Medicine“ wurde ebenfalls herausgefunden, dass exzentrisches Training die Beweglichkeit der Waden und der kompletten Oberschenkelmuskulatur verbessern konnte – und hier sprechen wir von unseren zentralen Laufmuskeln!
All diese positiven Effekte sollten doch Argument genug sein, um einmal um die Implementierung von exzentrischem Training in unseren Trainingsalltag nachzudenken. Möchte man nun also seine Laufeffizienz, Beweglichkeit und Kraft steigern sollten Übungen auf dem Plan stehen, die aus langsamen und kontrollierten Bewegungen hervorgehen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Kraft, gegen die der Muskel während seiner Verlängerung anarbeitet, hoch ist.
Zum Schluss gibt es dann hier noch 3 exemplarische Übungen für den Einstieg. Der Fokus liegt hierbei auf der exzentrischen, also der verlängernden, Phase. Der ganze Bewegungsablauf findet quasi in Zeitlupe statt.
Wadendehnen mit angehobenem Bein
Stellen sie sich hierzu auf eine Stufe, sodass beide Fersen in der Luft hängen. Während Sie einen Fuß ähnlich wie beim Laufen anheben, senken sie die andere Ferse mit durchgestrecktem Bein 3-5 Sekunden lang ab und drücken sich anschließend wieder nach oben. 8-12 Wiederholungen pro Seite.
Exzentrischer Ausfallschritt
Machen Sie mit dem linken Bein einen langen Ausfallschritt nach vorn und senken dann den Oberkörper ebenfalls binnen 3-5 Sekunden ab. Der Rücken ist gerade und das Knie des linken Beins steht senkrecht über dem Fußgelenk. Das Becken zeigt nach vorn. 5 Wiederholungen pro Bein.
Kreuzheben für die hintere (ischiocrurale) Oberschenkelmuskulatur
Als Gewicht können Kurzhanteln, Langhanteln oder auch einfach 2 Wasserflaschen genommen werden. Stellen Sie sich etwa schulterbreit und mit leicht gebeugten Kein hin. Die Grundbewegung beim Kreuzheben ist eine Verschiebung des Beckens nach vorne und hinten. Die Kraft kommt vor allem aus der Hüfte. Die Handflächen befinden sich rechts und links neben den Beinen und zeigen nach hinten. Die Schulterblätter nach hinten ziehen und eine stolze Brust machen. Den Rücken gerade halten und nun das Gewicht durch Vorschieben der Hüfte nach oben auf Hüfthöhe bringen. Beim Absenken die Hüfte wieder nach hinten schieben.
Das Gewicht bewegt sich während der Übung immer nah an den Beinen. 8-12 Wiederholungen.